Wie können wir politisch geprägte Gefühle sichtbar machen?
Kitt – Eine Bildungsinitiative über soziale Benachteiligung, die Einzelne und die Gesellschaft befähigt, sie zu bekämpfen
Auftraggeber:in
Projekteinreichung bei creative.projects, nicht realisiert
Leistungen
Recherche
Erstkonzept
Art Direction
Kampagne
Webdesign
Team
Sarah Laprell, Erstkonzeption & Art Direction
Rosa Viktoria Ahlers, Illustration
Michelle Weber, Co-Art Direction
Christina Scheib, Co-Art Direction
Nadja Hogl, Co-Strategie & Präsentation
Linda Moers, Co-Naming & Satz Projektbeschreibung
Familie Tittlus, Weber, Eberhardt & Junker, Support Erfahrungswissen ♥️
Teile der Konzeptstruktur wurden mit KI-gestützter Analyse unterstützt, um Ideen zu systematisieren.
Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Schicht. Betroffen sind vor allem einkommensarme, erwerbslose oder wohnungslose Menschen – oft verbunden mit Abwertung, Ausgrenzung und struktureller Benachteiligung. Klassismus beeinflusst Bildungszugänge, Karrierechancen, politische Teilhabe, Lebenserwartung und soziale Anerkennung. Trotz seiner weitreichenden sozialen und psychologischen Folgen wird Klassismus in gesellschaftlichen Debatten bislang kaum mitgedacht. Menschen aus nicht-akademischen oder einkommensschwachen Familien erleben wiederkehrende Hürden – in Bildung, Beruf und Alltag. Gleichzeitig fehlt es häufig an Sprache und Bewusstsein für diese Mechanismen.
Wie also können wir Klassismus sichtbar machen? Wie lassen sich Erfahrungen von Armutsbetroffenen in den öffentlichen Diskurs holen – ihr Mental Load, ihre Lebensrealität, ihre Herausforderungen? Und wie gelingt ein Raum für Dialog, in dem Verständnis, Reflexion und Empathie wachsen können?
Projekt
Kitt ist eine Bildungsinitiative, die soziale Benachteiligung sichtbar macht und den gesellschaftlichen Dialog über Herkunft, Privilegien und strukturelle Ungleichheit anstößt. Ziel ist es, Bewusstsein zu schaffen, Betroffene zu stärken und einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen – interdisziplinär, niedrigschwellig und partizipativ.
Kern des Projekts sind zwei Bausteine: Zum einen bringen OoH-Kampagnen das Thema Klassismus dorthin, wo es oft unsichtbar bleibt – in den öffentlichen Raum. Drei unterschiedliche Motivreihen zeigen persönliche Perspektiven, alltagsnahe Szenen und klare Botschaften. So entstehen Identifikationsmomente und Impulse für gesellschaftliche Auseinandersetzung. Zum anderen bietet ein barrierefreies Informationsportal verständlich aufbereitete Inhalte rund um Klassismus – entwickelt von Fachleuten aus Psychologie, Soziologie und weiteren Disziplinen. Neben psychoedukativen Informationen lädt die Website zur Reflexion ein, gibt Raum für anonyme Erfahrungsberichte und ermöglicht einen offenen Zugang zu Wissen jenseits akademischer Hürden.
Langfristig zielt die Initiative darauf ab, soziale Barrieren abzubauen, Scham zu reduzieren und eine Gesellschaft mitzugestalten, in der Herkunft nicht über Zukunft entscheidet.
Biografische Auseinandersetzung Das Thema Klassismus begleitet mich schon lange – zunächst unbewusst, später mit wachsendem Interesse. Aufgewachsen als Kind einer ostdeutschen Einwanderungsfamilie mit begrenzten finanziellen Mitteln, habe ich früh soziale Unterschiede erlebt. Im Laufe meines Studiums und Berufslebens kam ich in andere soziale Kontexte – mit neuen Erwartungen, anderen Selbstverständlichkeiten, auch neuen Unsicherheiten. Rückblickend erkenne ich auch eigene klassistische Prägungen – etwa in Momenten wie einer Bad-Taste-Party während der Schulzeit. Damals war es üblich, sich in Kleidung zu werfen, die vermeintlich „geschmacklos“ war – oft in Anlehnung an stereotype Vorstellungen bestimmter sozialer Milieus. Erst viel später wurde mir bewusst, wie solche Darstellungen Abwertung reproduzieren und über Ästhetik soziale Distanz hergestellt wird. Die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Herkunft, meinen Erfahrungen und blinden Flecken, aber auch mit strukturellen Ungleichheiten im Bildungssystem und Berufsalltag, war ein wichtiger Ausgangspunkt für das Projekt.
Von drüben Darüber hinaus habe ich die Einwanderungsgeschichte meiner Familie aus der ehemaligen DDR refklektiert. Damit einher Ungleichheiten zwischen Ost und West, Hürden in Biografien, nicht anerkannte Berufe nach der Wende, Identitätsschwierigkeiten. Der folgende Liedtext umriss meine Wahrnehmung darauf passend. „Es war im Sommer ’89, eine Flucht im Morgengrauen // Es war im Sommer ′89, und er schnitt Löcher in den Zaun // Sie kamen für Kiwis und Bananen // Für Grundgesetz und freie Wahlen // Für Immobilien ohne Wert // Sie kamen für Udo Lindenberg // Für den VW mit sieben Sitzen // Für die schlechten Ossi-Witze // Sie kamen für Reisen um die Welt // Für Hartz IV und Begrüßungsgeld // Sie kamen für Besser-Wessi-Sprüche // Für die neue Einbauküche // Und genau für diesen Traum // Schnitt er Löcher in den Zaun.“ Aus: „Sommer ’89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)“ von Kettcar







Recherche und Ideenfindung Die Recherche zeigte: Auch im Designbetrieb wirken soziale Ungleichheiten – sichtbar etwa in der Frage, wer sich unbezahlte Praktika, Exkursionen oder Auslandsaufenthalte leisten kann. Auch Bewerbungen für Designpreise, hochwertiges Equipment oder Weiterbildungen setzen finanzielle Mittel voraus – Voraussetzungen, die nicht allen zur Verfügung stehen, aber häufig über Karrieren entscheiden. Wie stark Designbiografien durch ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital geprägt sind, wurde besonders im Rückblick auf den eigenen Werdegang deutlich. Dabei rückten Fragen in den Fokus: Wer kann sich welche gestalterischen Freiheiten leisten? Wie stark prägt finanzielle Sicherheit Portfolio, Auftreten, berufliche Chancen? Gleichzeitig wurde klar: Auch ästhetische Urteile sind nicht neutral, sondern oft Ausdruck eines klassenspezifischen Habitus – ein Gedanke, den Pierre Bourdieu als „kulturelles Kapital“ beschreib.



Unterseite „Klassismus verstehen“ Wie wirkt sich Klassismus auf unser Leben aus? Diese Unterseite beleuchtet, wie soziale Herkunft unser Selbstbild, Denken und Wohlbefinden beeinflusst – oft von klein auf und über verschiedene Lebensphasen hinweg. Anhand von Altersstufen wie Kindheit, Schulzeit oder Rentenalter wird gezeigt, welche Herausforderungen Armut jeweils mit sich bringt und welche langfristigen Folgen soziale Benachteiligung haben kann. Auch emotionale Aspekte wie Scham, Wut oder Abstiegsangst werden aufgegriffen. Sie helfen dabei, Gefühle einzuordnen und Sprachlosigkeit zu überwinden. Ergänzend zeigt der Bereich, wie sich soziale Ungleichheit auf Psyche, Beziehungen, Gesundheit oder Stress auswirken kann – und schafft so ein vertieftes Verständnis für die alltäglichen, oft unsichtbaren Auswirkungen von Klassismus.
Dazugelernt
Bereits von klein auf: „Wenn Kinder größer werden, sind gemeinsame Mahlzeiten, das Zubettgehen oder die Zeit für Hausaufgaben in höher gebildeten Familien stärker geregelt und kontrolliert. Das fördert den Erfolg in der Schule. In diesen Haushalten wird in der Regel auch mehr über Bücher, anspruchsvolle Filme, Theater, Kunst und klassische Musik, aber auch über Wissenschaft und Politik gesprochen, sodass Kinder ganz selbstverständlich mit diesem Wissen aufwachsen. Ähnliche Unterschiede finden sich im Freizeitverhalten von Familien: Höhergebildete Eltern gehen mit ihren Kindern häufiger ins Theater, in Lesungen, in Konzerte oder in die Oper. Darüber erlernen Kinder Wissen, das in der Schule nützlich ist und in unserer Gesellschaft als „hohe Allgemeinbildung“ anerkannt wird.“ aus https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/soziale-ungleichheit-354/520843/soziale-herkunft-und-bildung/
Das, was keiner sieht